Sonderwoche EF Geografie: Ode an die Ränder

Mit dem Ergänzungsfach Geografie waren wir in der Sonderwoche in Randregionen Graubündens unterwegs. Wir haben viel gesehen, gestaunt und gelernt.

Randregionen müssen nicht, wie es der Name impliziert, am Rand oder an der Kantonsgrenze sein. In der Wirtschaftssprache werden Randregionen auch mit strukturschwachen Gebieten gleichgestellt – im Sinne von «am Rand der Prosperität oder Urbanität» gelegen.

Das Wirtschaftsforum Graubünden schreibt der Publikation ALPTRAUM zum Kanton Graubünden und zum Berg- oder Randgebiet: «Die sowieso schon dünne Besiedlung, gekoppelt mit in vielen Gemeinden abnehmenden Einwohnerzahlen beziehungsweise einer zunehmenden Überalterung der Bevölkerung, stellt viele Täler des Schweizer Alpenraums vor grosse Herausforderungen.»

In Randregionen haben wir Schulhäuser ohne Schüler:innen besucht: das eine in Vrin, das zweite in Riom. Gion A. Caminada verlegte sein Architekturbüro vom Weiler Cons ins verwaiste Schulhaus von Vrin, und die Macher:innen des Origen Festivals arbeiten in einem kürzlich erstellten, leerstehenden Schulhaus in Riom.
Bezüglich leerstehend geht etwas laut Caminada gar nicht: «Einen leerstehenden Stall in einen Wohnraum umzuwandeln, ist grauenhaft. Schliesslich schlief der Bauer nicht freiwillig im Stall!»

Etwas, das auf den ersten Blick auch nicht geht: eine Ausstellung über den Wolf im Lugnez. Anne-Louise Joël, Leiterin der Casa d’Angel, sagt: «Wir zielen darauf ab, einen Ort der Vermittlung und der Reflexion abseits der emotionalen Debatte (über den Wolf) zu schaffen.»

Räume werden neu definiert. Der Schulort wird zum Arbeitsort. Die Täler engen nicht ein, sie schaffen Raum für Neues. Das schätzt Giovanni Netzer: «Ich habe mehr gestalterische Freiheit als im urbanen Raum».

Das Dorf wird bespielt und belebt. Das Origen Festival betreibt die leerstehende Dorfbeiz in Riom, die Villa Carisch lässt die Tradition der Zuckerbäcker aufleben, und das Café im Salon entführt Gäste in das Paris der 20er Jahre.

Auch potentielle Energie gibt es im Berggebiet en masse. Die vielen Stauseen im Kanton zeugen davon. Der grösste liegt im Val di Lei. Eigentlich liegt er bereits in Italien. Die Landesgrenze wurde genau so verschoben, dass die Staumauer in der Schweiz liegt. Weiter talauswärts wurde ein Stück Schweiz wiederum an Italien abgegeben.

Randregionen wurden – abgesehen vom Vorhandensein gewaltiger potentieller Energie – auch schon als „arm an Potential“ bezeichnet. Randregionen auf diesen Begriff zu reduzieren, ist zu kurz gegriffen.

In Monstein braut die BierVision Monstein AG beispielweise erfolgreich ein Bündner Bioknospenbier mit Gerste, die über 1000 m ü. M. gewachsen ist. «Mia Engadina» will sich zu «Your first third Place» mausern. Das Engadin erhebt den Anspruch, zum bevorzugten Rückzugs-, Vernetzungs- und Inspirationsort der Schweiz zu werden. Sie schaffen Angebote und Dienstleistungen für Wissensarbeiter und Organisationen – darunter ein konkurrenzfähiges, schnelles Internet.

Tönt alles toll, oder? Also: ab in die Randregionen! Wenn Menschen abwandern, gibt es sicherlich leeren Wohnraum in Hülle und Fülle. Leider nein. Das Gegenteil ist der Fall: Weder im Lugnez noch im Unterengadin, im Avers oder im Sursees gibt es genügend Wohnraum für Neuzuzüger:innen. Die verlassenen Häuser bleiben im Besitz der einheimischen Familien und werden als Ferienhäuser genutzt. Historische Gebäude werden weit über dem Schätzwert verkauft. Sie können trotz Zweitwohnungsgesetz zu temporären Ferienpalästen umgebaut werden. Die Revision des Gesetzes zur Raumplanung könnte diese traurige Entwicklung der verwaisten Dörfer noch beschleunigen: Bauland für Erstwohnungen fällt weg, da die Reserven in Regionen, wo die Bevölkerung abnimmt, stark reduziert werden.

Die Ränder sind spannend, es gibt viel Potential, aber auch grosse Herausforderungen.

Um nochmals auf die Schulhäuser zurückzukommen: Die Schule im Avers hat noch genügend Schüler:innen. Und im Jahr 2021 gab es fünf Geburten – ein Rekord.

 

Text und Fotos: Mirco Auer

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