Diese Website verwendet Cookies, damit wir Ihnen die bestmögliche Nutzererfahrung bieten können. Die Cookie-Informationen werden in Ihrem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie z.B. die Erkennung Ihrer Person, wenn Sie zu unserer Website zurückkehren, und helfen unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website Sie am interessantesten und nützlichsten finden.
Die Schlussszenen sind beklemmend: Eine Armee schiesst mit Maschinengewehren ins Publikum. Es ist ohrenbetäubend. Kampflust und Entschlossenheit sind den Soldaten sehr deutlich anzusehen. Und: Die Armee besteht zum grösseren Teil aus Mädchen und jungen Frauen.
Ursina Hartmann und ihre Truppe haben sich mit dem Stück «Mann ist Mann» von Bertolt Brecht wieder Grosses vorgenommen. Vom 8. bis am 10. September war die fulminante Inszenierung in der alten Turnhalle der EMS Schiers zu sehen. Das Stück, ein Frühwerk Brechts aus dem Jahr 1925, ist eher sperrig. Es zeigt die Geschichte des Packers Galy Gay im kolonialen Indien. Eigentlich will er nur Fisch kaufen gehen, tut dann aber drei Soldaten einen kleinen Gefallen, indem er kurz für einen Kameraden der drei einspringt, die beim Appell zu viert sein müssen, um sich keine Rüge ihres Sergeanten einzuhandeln. Und weil er schlecht nein sagen kann und die Soldaten gewiefte Menschenkenner sind, verstrickt er sich immer weiter in seine neue Rolle als Soldat. Über verschiedene Etappen wird er in die Falle gelockt, um schliesslich am Ende als «Kampfmaschine» mit seiner Armee in den Krieg zu ziehen.
Themen des Stücks sind einmal die Verführbarkeit und Käuflichkeit der Menschen: Sehr deutlich wird das an der Figur des Sergeanten, gespenstisch glaubhaft gespielt von Tom Ebinger, einem harten Hund, der kommandiert, herumbrüllt und seine Männer schikaniert. Seine Schwäche sind Frauen und er hasst sich dafür. Objekt seiner Begierde und die einzige Frau im Stück ist die Witwe Begbick (Ladina Mahler), die eine kleine Kantine führt, in der die Soldaten Bier trinken. Sie ist schön und verführerisch (da tun das rote Kleid, 20er-Jahre Frisur, Schminke und hochhackige Schuhe das Ihrige) und setzt das gezielt ein. Sie ist auf die Soldaten angewiesen und weiss das, so dass sie sich ganz pragmatisch auf Deals einlässt. Ihr Song «Beharre nicht auf der Welle», mehrmals anrührend vorgetragen, zeigt diese Grundhaltung: Nur wer sich laufend anpasst, kann in einer solchen Welt bestehen. Überhaupt sind die Figuren äusserst pragmatisch: Die Wächter der tibetanischen Pagode (sehr sauber gespielt von Sarah Caluori und Lotte Ehninger) kommen rasch auf die Idee, aus dem kahlen Soldaten, den sie nach einem Überfall betrunken bei sich vorfinden, einen Gott zu machen und mit dieser neuen Attraktion Einnahmen zu erzielen; damit entlarvt Brecht sogar die Religion als kommerzialisierbar. Das Menschenbild, das er mit dem Stück entwirft, ist nicht besonders schmeichelhaft: Da geht es nicht um hehre Ziele und Ideale, um Moral, um Treue oder das Gute, da geht es ums Geschäft. Auf die Frage, gegen wen denn der neue Feldzug ginge, antwortet einer der Soldaten: «Wenn sie Baumwolle brauchen, gegen Nepal, wenn sie Schafwolle brauchen, gegen Pamir».
Ein weiteres Thema ist die Austauschbarkeit von Menschen: Der Soldat Jeraiah Jip (Jamin Voellmy – stark sein betrunkenes Torkeln und Lallen) wird von seinen Kameraden zurückgelassen und durch den naiven Galy Gay (Fadri Meyer, sehr frisch, gutherzig und gutgläubig bis in die Haarspitzen) kurzerhand ersetzt. Und der beharrt nur lauwarm auf seinem Plan, Fisch zu kaufen, und ist erstaunlich schnell bereit, sogar seine Frau (Anja Ehninger) zu belügen, die meint, ihren Mann erkannt zu haben. «Mann ist Mann», der Titel des Stücks, kann natürlich auch auf Männlichkeit bezogen werden, auf klischeehafte Männlichkeit notabene. Die Paraderolle ist da die eines Soldaten: Befehle befolgen, strammstehen, herumlungern, krumme Dinger drehen und Bier saufen. Und genau das taten die Schauspielerinnen: Rahel Luzi als Soldat Uriah Shelley, eine Art Anführer des Trupps, toll auch ihr Agieren im Hintergrund, wenn sie keine Sprechrolle hatte, Emilia Hollmann als Jesse Mahoney, zierlich wie Rahel und doch genauso unzimperlich und glaubwürdig, wenn es ums Raufen ging, und Maira Werdmüller als Polly Baker, breitbeinig, wuchtig und laut. Weitere Soldaten wurden gespielt von Enya Coray, Alina Wachter, Anja Ehninger, Lotte Ehninger und Sarah Caluori, alle mit toller Präsenz, physisch stark und stimmgewaltig. Diese Mädchen und jungen Frauen mit dieser «männlichen» Energie zu sehen, schreiend, mutig, laut und entschlossen, stimmt irgendwie zuversichtlich, vor allem, wenn man sich an die Inszenierung vom letzten Jahr erinnert, Federico Garcia Lorcas «Bernarda Albas Haus», auch unter der Regie von Ursina Hartmann, wo einige von ihnen unterwürfige weibliche Wesen spielten, eingesperrte Töchter, kraftlos, freudlos an ihrer Aussteuer stickend. Was für ein Unterschied!
Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Aufführung war sicher die Musik von Mischa Weiss, meist Trommel oder Xylophon, die sehr viel zur Handlung und zur Atmosphäre beitrug: Gewehrsalven, sich drehende Eisenbahnräder, aber auch asiatisch anmutende Tempelklänge, das alles war zeitlich präzis auf die Handlung abgestimmt zu hören. Und dazu noch eine «Kazoo», eine Art Plastiktröte zum Hineinsingen, mit der er das Signal zum militärischen Appell, eine kurze Fanfare, gab und damit die aufgeblasenen Militärs, allen voran den Sergeanten, ins Lächerliche zog und sozusagen in Unterhosen dastehen liess.
Und natürlich wäre der Abend nicht gewesen, was er war, ohne die Regieeinfälle von Ursina Hartmann, ihr Flair für Formationen und Choreografie, ihre Erfahrung, wie man etwa mit einfachen Mitteln einen sehr würdigen Leichenzug inszeniert, ihr Sinn für Kostüme, Requisiten und Symbolik. Es ist ihr gelungen, ein recht komplexes und textlastiges Stück enorm rasant auf die Bühne zu bringen. Temporeiche Szenen, nahtlose Übergänge, schnelle Wortwechsel: Da lief immer etwas. Hinter einer solchen Eingespieltheit steckt enorm viel Arbeit am Detail. Das gilt auch für das Bühnenbild, die Requisiten und die Lichttechnik, und auch da zeigte Ursina Hartmann ihren Sinn für Reduktion im guten Sinne. Sogar ein kleiner Tango war eingebaut, und als Expertin und Tanzlehrerin wurde Ursula Luginbühl beigezogen.
Ein spannender Abend, auch wenn bezüglich der Handlung beim einen oder der anderen ein paar Fragen offen geblieben sein könnten. Was kommt als Nächstes? Wir sind gespannt auf ein nächstes Stück. Und: Wir kommen wieder! Ein grosses Danke an alle!
Text: Katharina Suter
Fotos: Van Schaer