Theaterkritik: Catherine Deneuve in Schiers – französisches Flair auf der Bühne

Dass Greta Garbo des Öfteren in Klosters weilte, wissen wahrscheinlich einige im Prättigau. Aber Catherine Deneuve in Schiers? Das ist natürlich ein bisschen geflunkert. Deneuve, die grosse Diva des französischen Films, spielte zwar eine Hauptrolle in «Huit femmes» von 2002, der Verfilmung des Stücks von Robert Thomas aus dem Jahr 1958, auf dem die Inszenierung von Ursina Hartmann und ihres Theaterensembles an der EMS Schiers basiert.

Und geflunkert wird auch auf der Bühne: Keine der acht Frauen ist wirklich die, die sie zu sein vorgibt. Man ahnt bald, dass sich hier ein klassischer Whodunit abspielen wird in diesem Salon der Villa, während daneben der Hausherr in seinem Zimmer erstochen auf dem Bett liegt und Agatha Christies Geist an der Decke schwebt. Acht Frauen, abgeschnitten von der Aussenwelt, eingeschneit, das Telefonkabel gekappt und die Zündkabel des einzigen Wagens herausgerissen. Wer ist die Täterin? Oder ist der Mörder gar noch im Haus? Wer war wann wo und wer hat wen wobei gesehen? Es entwickelt sich ein temporeiches Hin und Her zwischen den weiblichen Familienmitgliedern und den beiden Hausangestellten, Geheimnisse kommen ans Licht; nächtliche Bespitzelungen, verbale Nadelspitzen, Vorwürfe und Anschuldigungen werden ausgeteilt, es kommt zu Tumulten und zum Handgemenge und der Verdacht springt von der einen zur anderen, denn ein Motiv für den Mord an Marcel hätten sie alle.

Da wäre etwa Mamy (Alina Wachter), die Greisin im Rollstuhl, die dann doch plötzlich recht munter gehen kann und ein gutes Händchen für Geld und das Verstecken desselben zeigt. Oder Augustine, die zugeknöpfte, giftige und besserwisserische Tante, herrlich überspitzt gespielt von Anja Ehninger, die mit ihren dramatischen Ohnmachtsanfällen und ihrem Selbstmitleid immer wieder für Lacher sorgt. Ihr Motiv: zurückgewiesene Liebe. Die Ereignisse spitzen sich zu, Revolver kommen ins Spiel, das Rattengift scheint zu fehlen, die Hunde sind tot, vielleicht hat jemand den Kaffee vergiftet. Es ist ein unterhaltsames verbales Pingpong auf der Bühne, das Bild der intakten Familie bekommt Risse, Andeutungen auf Alkoholismus, Spielsucht, Affären und voreheliche Schwangerschaft werden fallengelassen, alles Dinge, die eine bourgeoise Schicht unter dem Deckel halten will.

Den Idealtypus dieser Elite verkörpert Gaby, die Gattin des Ermordeten: Alles an ihr hat Klasse, jede Handlung kontrolliert und gepflegt, selbst ihre Kopfschmerzgeste ist nobel. Schön, wie Francesca Hohl dieses Hoch-Status-Spiel durchzieht bis zum Schluss. Auch die für Weihnachten heimgekehrte Suzon, frisch und authentisch gegeben von Ladina Mahler, ist eine wahre Vorzeigetochter, bis sie beichten muss, dass sie schwanger ist, damals eine grosse Schande. Louise, das biedere Dienstmädchen, wird zunehmend aufmüpfiger und patziger und man schaut gern zu, wie Lotte Ehninger diese Wandlung umsetzt, wie sie Befehle zwar knicksend entgegennimmt, aber mit den Augen rollt und immer mehr zeigt, wie satt sie ihre Dienerinnenrolle hat. Und natürlich hätte auch sie ein Motiv. Genau wie Chanel (Enya Coray), als Figur zunächst eine der Sympathieträgerinnen, die sehr verlässlich und bodenständig erscheint, bis sie unter Druck zugeben muss, wie sie beim Kartenspiel über den Tisch gezogen, gedemütigt und finanziell in den Ruin getrieben wurde. Ebenfalls sehr glaubhaft ist Sarah Caluori in ihrer Rolle als Pierrette, der Schwester des Ermordeten, sehr offen, sehr direkt und «laid back», schön inszeniert ihre Dispute mit der Hausherrin Gaby als pas de deux mit Drohgeste quer über die Bühne, optisch verstärkt durch die Kostüme schwarzes Kleid mit roten Stiefeln versus rotes Kleid mit schwarzen Schuhen. Zwei starke Frauen, die sich nichts schenken.

Die Fäden aber zieht Catherine, die jüngere Tochter, die am Schluss den Fall auflöst. Emilia Hollmann scheint enormen Spass an dieser Rolle zu haben, sie fläzt herum, am Anfang noch im Pyjama, ein quirliger Teenager, der sich viele Freiheiten nimmt, etwa ein Rennen mit dem Rollstuhl ihrer Grossmutter oder Gelächter und Schenkelklopfen, wenn sie jemandem etwas nicht abnimmt. Sie ist ironisch, clever und schnell, schmollt auch mal und scheint noch nicht in eine Frauenrolle gepresst. Und wer ist nun die Mörderin? Tja. Die Pointe überrascht.

Bühnenbild, Kostüme, Maske und Requisiten sind insgesamt schlicht und enthalten ein paar Reminiszenzen an die 50er-Jahre, sind aber auch irgendwie zeitlos, wie auch der Text in der Übersetzung aus dem Französischen von Ursina Hartmann; er hat weder die Patina einer bestimmten Zeit noch ist er zu modern, sondern kommt flüssig, schlank und natürlich daher. Der Drive der Inszenierung hat auch mit der Textsicherheit der Schauspielerinnen an der Première zu tun, mit ihrer Präsenz und der Nahtlosigkeit der oft sehr schnellen Übergänge von Auf- und Abtritten und in wechselnde Dialoge. Dahinter stecken viele Monate Arbeit – neben Schule, Familie und anderen Aktivitäten notabene. Und der Biss von Ursina Hartmann, ihre reiche Erfahrung und ihr Sinn für Bühnentaugliches und junge Menschen.

Es ist interessant und schön zu sehen, wie sich das Ensemble von Inszenierung zu Inszenierung entwickelt, wie jede Einzelne neue Facetten zeigt, die Strenge von Garcia Lorcas «Das Haus der Bernarda Alba» (2020) in lauten Machismus überführt in Brechts «Mann ist Mann» (2021) und schliesslich heute in «Acht Frauen» in ein breites Spektrum an Charakteren schlüpft, witzig, giftelnd, elegant, pathetisch, psychologisch. Das Publikum dankte mit langanhaltendem Applaus und Bravo-Rufen und draussen gab es Umarmungen und Tränen des Abschieds bei denjenigen, für die es die letzte Inszenierung an der EMS Schiers ist, weil sie nach der Matura weiterziehen. Mögen sie am neuen Ort eine neue Theaterfamilie finden!

 

Text: Katharina Suter, EMS Schiers

Fotos: Van Schaer, EMS Schiers

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